Kapitel 6
- Kapitel 6 -
Schmerzhafte Begegnung
Ein kleiner Hauch Erinnerungen,
Ahnungen blutiger Einsamkeit
von tiefer Angst umschlungen,
fiel ich in die Dunkelheit.
Bei wachem Bewusstsein musste ich feststellen, dass ich mich am frühen Morgen mit samt Kleidung und Schuhen auf die Matratze gepratzt hatte. Ich musste wirklich erschöpft gewesen sein. Es hatte sich fast wie ein echter Schlaf angefühlt.
Ich rümpfte die Nase. Es roch nach angebranntem Speck. Ich schlug die Augen auf und sah direkt auf die Digitaluhr der Anlage. Vor Schreck wäre ich fast auf den Boden gefallen. Es war bereits Nachmittag.
Genauso entsetzt hörte ich jetzt einen Schrei aus der Küche: "Ah! Verdammt!" Ich lief hin.
In verzweifelter Eile versuchte Cedric den Speck zu retten, der in der Pfanne vor sich hin brutzelte. Doch es war vergebens, er war bereits vollständig auf dem Pfannenboden angebraten. Die Pfanne konnte man also auch entsorgen.
"Was ist passiert?"
Er sah mich reumütg an: "Ich wollte uns ein Frühstück machen. Ich bin eingeschlafen und naja, ist in die Hose gegangen."
Ich lächelte ihn tadelnd an und meinte: "Überlass solche Dinge lieber jemand anderem, bevor du jemanden oder gar dich selbst gefährdest." Ich lachte und er zog einen Schmollmund.
Schließlich seufzte er, ging ins Wohnzimmer und holte sein Portmonnaie heraus. Er öffnete es und lugte hinein. Er schien zufrieden, zeigte mir zwei Zwanziger und steckte sie wieder hinein.
"Na komm, gehn wir frühstücken!", er ging schnellen Schrittes auf die Tür zu.
Gut, dass ich schon angezogen war.
Die Geschäftsstraßen waren belebt und Cedric steuerte direkt auf ein kleines Café im Zentrum allen Daseins zu. Als wir uns an den Tischen zu einem leeren vorarbeiteten, entgegneten uns bewundernde sowie skeptische Blicke. Mir war es ein wenig unangenehm. Cedric jedoch ließ sich nicht stören und pfiff in voller Eifrigkeit nach einer Kellnerin, die sofort eine Menükarte mit sich brachte.
Da es nur eine einzelne war, mussten wir uns gemeinsam darüber beugen. Er schloss kurz die Augen und sah streng beherrscht aus. Sicherheitshalber rückte ich ein Stück weiter zur Seite, damit ich ihm nicht zu nahe war. Er entspannte sich wieder.
Dann versuchte er auf gute Laune zu spielen und fragte: "Und? Weißt du schon, was du möchtest?"
Ich wollte nicht darauf herumreiten und versuchte ebenfalls enthusiastisch zu klingen: "Ja .. ähm ich nehme einfach das Tagesangebot da vorn." Ich schluckte.
Als die Kellnerin wieder vorbei kam, bestellte er zwei mal das Tagesangebot und ließ sich in seinen Stuhl zurückfallen. Er rieb sich die Augen. "Oh Mann, ich bin so müde. Ich werde wohl nie lernen, etwas weniger zu trinken."
"Soll ich dir beim nächsten Mal einfach alle Gläser wegnehmen, die zu viel sind?", versuchte ich es.
"Nein!", er grinste übertrieben, um zu zeigen, dass er darauf auch nicht verzichten wollte.
Ich grinste zurück.
Das Essen verging schweigend. Ich war sehr viel schneller fertig als er und da ich mir überlegte, es könnte ihm unangenehm sein, wenn ich ihm zuschaue, schaute ich mir die Leute an, die rechts und links neben uns saßen.
Ein leises Klirren von Besteck auf Teller sagte mir, dass er ebenfalls fertig war. Er fischte einen Zwanziger aus seinem Portmonnaie, legte ihn auf das Rechnungstellerchen neben dem Salz und nickte mir zu. Schweigend drängten wir uns durch die die Menge. Er nahm meine Hand und wir spazierten durch die naheliegenden Einkaufsstraßen. Schuhgeschäfte, Boutiquen, alles konnte man hier finden. Um uns herum herrschten laute Gespräche, die Leute hasteten zu verschiedenen Geschäften, bummelten vor den Fenstern und trugen eine Vielfalt von Tüten mit sich. Schade, dass ich kein Geld dabei hatte. Ich hätte ruhig mal neue Kleidung gebrauchen können. Ich wollte nicht ewig in den Sachen einer Fremden herumlaufen, die Cedric mal zu Besuch gehabt hatte. Bei dem Gedanken schwindelte es mir. Klar, er sah gut aus. Warum sollte er nicht öfters mal Frauenbesuch da gehabt haben, die schonmal ihre Klamotten dort vergessen hatten. Oder vielleicht hatte er demletzt noch eine Freundin gehabt, die ausgezogen war und noch nicht alles abgeholt hatte. Wäre bestimmt nicht gerade angenehm, wenn sie zum Abholen vorbeikäme und ihre Sachen an mir vorfinden würde.
Ich hatte das Gefühl, dass es besser wäre, solche Dinge nicht mit Cedric zu besprechen. Später vielleicht, aber nicht jetzt.
Und schon wurde ich aus meinen Gedanken gerissen. Hinter uns hörte ich eine Frau rufen: "Cedric! Cedric, warte doch!"
Wie synchron drehten wir uns beide um. Er stöhnte leise: "Oh nein, das darf doch wohl nicht wahr sein!"
Ich sah ihn mit gerunzelter Stirn an und betrachtete dann die Frau, die auf uns zulief. Sie war vielleicht wenige Jahre älter als ich, hatte tief dunkelbraunes, schulterlanges Haar und ich musste zugeben, dass sie wirklich hübsch aussah. Aus irgendeinem Grund kam sie mir bekannt vor. Es ähnelte einem Geistesblitz, als wäre ein Foto von ihr in meinem Kopf plötzlich aufgetaucht, eins aus meinen Erinnerungen. Ein Bild, das grau und verschwommen und doch so scharf in meinem Gedächtnis eingebrannt war.
Einen Meter kam sie vor uns zum Stehen. Sie betrachtete nun auch mich, mit Geringschätzung und ich merkte, wie sie ihr Kinn ein wenig zu hoch reckte, als wolle sie über mich hinaus schauen und nicht mich anschauen. Gegen meinen Willen musste ich schmunzeln, das verwirrte sie ein wenig. Doch sie fasste sich schnell wieder und schaute nun kokettierend zu Cedric, der anderenfalls bei seinem kühlen Gesichtsausdruck blieb: "Hi, Lisa. Was willst du?"
"Na na na, nicht so unhöflich, mein Lieber! Ich hatte dich heute morgen angerufen, aber du bist nicht dran gegangen..", sie sprach hastig und dadurch ein wenig undeutlich. Dazu hatte sie eine nasale Stimme, dessen Klang zusammen mit der Hasterei wirklich furchtbar klang.
".. Ich wollte dich fragen, ob du nochmal Lust zu einem Kinoabend hättest? Allein natürlich." Dabei sah sie mich scharf an.
Cedrics Miene wurde stattdessen düsterer: "Tut mir Leid, aber ich bin für die nächsten paar Abende schon vergeben", und zwinkerte mir übertrieben zu. Um nicht alles kaputt zu machen und Cedric zuliebe, machte ich mit. Genauso übertrieben lächelte ich ihn jetzt auch an: "Das sowieso, Schatz! Da fällt mir ein, dass wir keinen Champagner mehr zu Hause haben .."
Arrogant-Lisa schien geschockt. Ob wegen meiner Stimme oder der Tatsache, dass ich Cedric Schatz genannt hatte, wusste ich nicht genau. Jedenfalls schürzte sie ihre Lippen und meinte zerknirscht: "Verstehe .. dann ein andermal", und zwinkerte Cedric penetrant zu.
Als sie sich umdrehte und wie ein ungelenker Storch davonstakste, stieß Cedric einen beruhigten Seufzer aus: "Die hat vielleicht Nerven ..! Danke übrigens."
"Kein Thema!", ich zwinkerte und er lächelte zurück.
Als wir wieder weitergingen, überkam mich wieder das Gefühl der Paranoidität vom Vorabend. Mir fröstelte und meine Augen sprangen von einem Ort zum anderen, auf der Suche nach einer Bestätigung.
Die Minuten, sowie die Stunden, vergingen in Windeseile. Die Sonne ging langsam unter und schimmerte in ihren strahlendsten Bluttönen.
Wir bogen in eine enge, dunkle Seitengasse ein, die laut Cedric eine Abkürzung war. Mit der Zeit wurde ich immer nervöser, als käme in naher Zukunft etwas Schreckliches auf mich zu.
"Nur noch zwei Blocks, dann sind wir da", versprach mir Cedric. Trotzdem beruhigte es mich nicht.
Und als wäre es nicht schon schlimm genug, fluchte Cedric: "Shit!", er tastete seine Hosentaschen nach: "Ich habe meine Schlüssel verloren! Ich muss nochmal zurück, warte du hier! Ich beeile mich!" Bevor ich überhaupt etwas erwidern konnte, war er bereits ins Dunkel der Gasse eingetaucht. Und ich war allein. Ich zitterte am ganzen Leib.
Da hörte ich ein Fenster hinter mir klappern: Mit einem Ruck drehte ich mich um und im nächsten Moment traf mich ein harter Schlag auf den Solarplexus. Ich wurde mit voller Wucht gegen die nächstgelegene Hauswand geschleudert. Größere Stücke der Wand splitterten unter meinem Aufprall ab. Ich stöhnte und hielt mir die wunde Stelle. Als ich aufschaute, blickte ich in das Gesicht einer Frau. Sie hatte tiefschwarze glatte Haare, die ihr bis zu den Hüften reichten. Sie war wunderschön und gleichzeitig wirkte sie bedrohlich.
Sie stand mir nun direkt gegenüber und schnappte verblüfft nach Luft, als sich meine Aufschürfungen und Prellungen, die durch frische Risse in der Kleidung freigelegt waren, von alleine heilten. Unerwartet loderte in mir eine Wut auf und ich nutzte den Moment ihrer Verblüffung, indem ich in einem Sprung neben ihr stand, ihren Arm nach hinten riss, ihr mit der Faust zwei Rippen brach und sie so mit einem Tritt in die Kniekehlen zum Sturz brachte.
Zum nächsten Angriff lief sie in einem unsichtbaren Tempo hinter mich und zielte mit ihren Händen meinen Hals an. Ich war allerdings schneller, wand mich aus der Gefahr und griff nach ihrem Kragen. Da sie allerdings wieder nach mir ausschlug und ich ausweichen musste, hielt ich mich an ihrem Kragen fest und landete mit einem Rad über ihrem Kopf wieder auf den Füßen. Doch diesmal war ich zu langsam, sie traf mich auf die Brust und ich landete mit dem Hinterkopf auf nacktem Stein. Mein Kopf dröhnte und mit jeder Sekunde wurden meine Glieder träger und schwächer.
Langsam kam sie auf mich zu und zeigte ihre spitzen Fangzähne. Das Bild vor meinen Augen verschwamm immer mehr und auf einmal war da ein blendendes Licht. Ich spürte den Lufthauch, als sie verschwand und darauf folgte endlose Dunkelheit.
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