Kapitel 5
Versöhnung
Brennend schmerzte meine Wunde,
es schien so lange zu sein,
und im Geiste kam die Kunde,
wir sind nicht allein.
Ich löste mich wieder aus seiner Umarmung und eine volle Minute lang sahen wir uns still in die Augen. Ich war viel zu verwirrt, als er den Kopf zu mir hinunter beugte und mich küssen wollte. Ich hielt ihm Zeige-und Mittelfinger auf den Mund. Ich senkte meinen Blick, hielt kurz inne, um meine Worte mit Bedacht zu wählen, und sprach sie dann laut aus:
"Hör zu", sagte ich leise, "Ich weiß, dass ich dir viel bedeutet habe und es sichtlich immer noch tue. Und auch wenn ich selbst bemerke, wie mein Herz nach dir rast, musst du bedenken, dass mein Gedächtnis noch immer nicht zurück gekehrt ist. Wenn du mich also nicht verlieren willst, musst du mir solange Zeit lassen, bis ich dich wieder so kenne oder lieben kann wie früher. Momentan bist du für mich nur ein Fremder, den ich sehr gerne mag, aber nicht das ist, was ich für dich bin."
Er nahm ein wenig Abstand von mir und senkte auch seinen Blick. Bis er schließlich noch einmal aufatmete und entgegnete: "Ja, du hast recht. Tut mir Leid. Aber das ist vielleicht schon das Erste, was ich dir über mich sagen kann: Ich reagiere ohne zu überlegen." Er grinste mit schiefgelegtem Kopf und ich lächelte zurück.
Ich nickte einmal langsam, bevor ich kokettierte: "Und? Schon etwas für heute geplant?"
"Eigentlich nicht, aber wenn du willst, zeige ich dir ein Bisschen von unserer Gegend und stelle dich ein paar meiner Freunde vor" , erwiderte er jetzt auch enthusiastisch.
"Super Idee!"
"Na dann los!"
Wir liefen fast aus der Wohnung, so eilig hatten wir es, nach draußen zu kommen. Er schloss die Tür sorgfältig ab und wir genossen die Freiheit der Luft und der Geräusche, die wir nun vor uns hatten. Die Sonne strahlte immernoch in ihrem freudigsten Goldton und erhellte unsere Launen noch ein paar Stufen höher. Ausgelassen folgten wir den umliegenden Gebäuden. Mein Begleiter informierte mich über die verschiedenen Straßen, ihre Nachbarn, ihre Eigenarten und über die verrücktesten Dinge, die er und seine Freunde hier schon angestellt hatten. Von seinem Bruder sprach er mit dem höchsten Respekt, was ich gleichzeitig bewunderte und mich auch verwunderte. Welche Geschwister verstanden sich schon so gut? Aber sie waren schließlich keine kleinen Kinder mehr und mir kam der Gedanke auf: Hatte ich auch einmal einen Bruder oder eine Schwester? Ich verscheuchte den Gedanken und folgte wieder ganz Cedrics Geschichten. Ich war mir sicher, dass es keinen besseren Erzähler gab, auch, wenn ich außer ihn momentan keinen kannte.
Schließlich bogen wir um eine Ecke und uns kamen drei Jungs entgegen, die Cedric freudig begrüßte. Sie waren allesamt braun gebrannt. Der in der Mitte war mehr bullig und dunkelhaarig, Noah. Der linke war eher schmal und hatte hellbraunes Haar, Kevin. Und der rechte war fast genauso muskulös wie der Bullige und genauso dunkelhaarig, Stefan.
Mit einem Ruck blieb ich stehen, starrte die drei nur aus leeren Augen an. Im Geiste schon in Angriffsstellung. Auch die drei Jungs versteinerten. Sie gehörten allesamt zu der Gruppe, die ich an meinem ersten Tag hier verscheucht hatte. Da war ich sicher.
Nur Cedric stand mit fragendem Blick zwischen uns.
"Sagt mir mal einer, was hier los ist ?!"
Ich sagte nichts, fixierte nur die drei Jungs.
Der Bullige stellte ihm stattdessen eine Gegenfrage: "Kleiner Bruder, kannst du mir mal bitte verraten, warum du mit einer Kampfkatze herumläufst?"
Ich vernahm ein leises Zittern in seiner Stimme und grinste höhnisch.
"Kampfkatze?? .. Ähh Lucie?", Cedric schien zu verzweifeln.
"Deine Freunde hier haben demletzt einen Jungen gedemütigt. Ich bin eingeschritten." Ich bewegte mich nicht. Wie eine Statue stand ich da.
"Ja! Wegen dir hat Pascal einen gebrochenen Arm und Kenny hätte eine Lähmung kriegen können!", schrie der Bullige mich jetzt direkt an.
Ich zuckte mit den Schultern: "Sie hätten mir nicht zu nahe kommen dürfen."
"Du warst das?" Cedric sah mich ungläubig an und dann lachte er einfach drauflos. Alle, mit mir eingeschlossen sahen ihn irritiert an, versuchten vergeblich, sein Handeln zu verstehen.
Ich schien anscheinend sehr vertieft, denn Stefan zielte mit seinem Messer auf meine Rippen. Doch meine Reflexe hatte er nicht bedacht. Ich wehrte das Messer mit der bloßen Hand ab und Stefan taumelte zurück. Ein brennender Schmerz durchfuhr mich, als die Klinge eine lange Wunde auf meiner Handinnenseite hinterließ. Das Blut tropfte auf den Boden und meine Züge verhärteten sich.
"Sag mal, spinnst du?", schnauzte Cedric Stefan an. Doch Stefans Augen weiteten sich und er starrte mich nur regungslos an. Auf diese Reaktion hin, wandten sich alle zu mir um.
Und augenblicklich war alles still, alle starrten mich an, schauten dem Schauspiel, das sich ihnen bot, zu.
Mein Magen fing an zu rebellieren, als sich die Wunde sichtbar schloss. Die beiden Hautenden wuchsen aufeinander zu, bis nichts als reine Haut und getrocknetes Blut zurück blieben. Cedric schien am meisten geschockt. "Was bist du?"
"Das wüsste ich auch gern", entgegnete ich trotzig.
Eine Weile verging, in der keiner ein Wort sagte. Bis Stefan schließlich die Hand zu mir ausstreckte und seufzte: "Tut mir Leid, kommt nie wieder vor!"
"Mhmmm." Ich schüttelte seine Hand und als wäre das das Zeichen dafür, dass nun zwischen uns allen Frieden herrschte, rief Cedrics Bruder Noah: "Kommt, lasst uns eins trinken gehen. Ich brauch` Alkohol!"
Alle lachten und Cedric zwinkerte mir freundschaftlich zu. Ich blieb misstrauisch und folgte ihnen mit Widerwillen. Doch ich tat es schlussendlich für Cedric. Sie gingen zu einer kleinen Bar an der Ecke. Alles war sehr bäuerlich eingerichtet und es roch nach Zigarren und Bier.
Wir setzten uns an einen langen Holztisch. Noah bestellte jedem ein Bier, selbst mir. Bis in die Nacht durch plauderten wir ausgelassen, ließen uns immer Getränke nachholen und alle hatten einen heiden Spaß. So langsam mochte ich Cedrics Kumpanen, trotzdem blieb ich auf einen Punkt hin reserviert.
Um drei Uhr morgens verabschiedeten Cedric und ich uns von der Bande und traten in die kühle Nachtluft hinaus.
Ich blieb drei volle Sekunden stehen, schloss die Augen und ließ den Wind um mein Haar rauschen. Ich genoss diesen Moment, öffnete dann aber wieder meine Augen und lächelte Cedric an, der sichtlich zu viel getrunken hatte. Bei seinen Gehversuchen musste ich schmunzeln. Währrend ich auf sein Gleichgewicht achtete, spatzierten wir langsam und gemütlich die Straßen zu seiner Wohnung entlang.
Als er die Eingangstür zu den Wohnungen aufschloss, bemerkte ich eine Bewegung im Dunkeln hinter zwei Bäumen. Ich sah genauer hin und trotz meines geschärften Sinns, konnte ich nichts erkennen. Mir lief ein Schauer über den Rücken. Wir sind nicht allein.