neomii

Kapitel1



Prolog

Beunruhigung lag im dichten Nebel des Dorfes Raeren. Schon in den frühen Morgenstunden hörte man die Sirenen eines Notarztwagens. Es dauerte nicht lange, bis man merkte, dass man das junge Mädchen mit ihren kaum siebzehn Jahren nicht mehr retten konnte. Ihre Eltern standen fassungslos daneben, nicht fähig, eine Träne hervorzubringen. Das sollte später im vertrauten Heim geschehen, wenn die Abwesenheit ihres Kindes bewusst würde. Der Arzt fand keine plausible Todesursache, versprach den Eltern allerdings nachzuforschen.
Der Tod des Mädchens sprach sich schnell in aller Munde herum. Keiner konnte es fassen. Dieses immer freundlich gewesene Mädchen, das einen entweder zum Lachen brachte oder nur schweigsam dasaß, war nun fort. Fort von der Welt, fort von ihren Freunden, fort von ihrer Familie. Sie ist hübsch und intelligent gewesen. Es war schade, sie verloren zu haben.
Man schnallte sie auf eine Trage, legte eine Decke über sie und trug sie ins Wageninnere. Sie wurde fortgefahren.


Das Erwachen

Als ich die Augen aufschlug,
blickte ich mir direkt ins Gesicht,
und als wäre alles nicht schon genug,
wusste ich, etwas mit mir stimmt nicht.


Ich fühlte kalte Steine unter mir. Es war kalt und feucht. Mein Kopf dröhnte. Ich versuchte die Augen zu öffnen, das Licht blendete mich und ich kniff sie direkt wieder zu. Beim zweiten Mal klappte es besser und ich setzte mich auf. Ich  musste schlecht gelegen haben, denn mir taten ein paar Knochen weh, die direkten Kontakt zum Boden gehabt hatten. Ich ließ meinen Blick über meine Umgebung schweifen. Ich lag in einer dreckigen Gasse. Ich versuchte mich daran zu erinnern, was passiert war. Doch ich wusste überhaupt nichts. Nicht was geschehen war und auch sonst nichts von mir. Nicht einmal meinen Namen wusste ich. Wahrscheinlich hatte ich mir den Kopf gestoßen und nur eine vorübergehende Gehirnerschütterung und würde mich bald wieder an alles erinnern. Ich stand auf, überrascht, dass ich damit keine Probleme hatte. Schließlich wusste ich nicht, wie lange ich schon hier so gelegen hatte.
Ich ging ein paar Schritte, schaute mich noch einmal um und ging der Gasse entlang um vielleicht etwas zu finden, das mir helfen könnte. Während ich an den schmutzigen Wänden vorbeiging, roch ich den Schimmel in den Wänden, getrockneten Urin und eine ganze Menge mehr. So klar und intensiv, dass mir schlichtweg schlecht wurde. Ich schwankte ein Bisschen und hörte urplötzlich eine Stimme. Sie war laut und deutlich, als würde die Person, die sprach, direkt vor mir stehen. Doch nirgends war jemand zu sehen. Doch da! Da stand ein älterer Mann, der seine Enkeltochter zurechtwies. Ich sah die beiden klar und deutlich. Was aber so irritierend war, war, dass sie bestimmt dreihundert Meter von mir entfernt waren. Was war bloß los mit mir? Ich wurde definitiv wahnsinnig! Eine Verrückte, die in der Gegend umherirrt. Sowas ist unmöglich, ich musste wohl doch mehr abbekommen haben, als eine einfache Gehirnerschütterung. Nichts funktionierte richtig bei mir. Aber es hatte den Anschein, als würde alles viel zu gut funktionieren. Ich ignorierte meine Gedanken, ich wollte schließlich nicht meinen ganzen Verstand verlieren.
Der Mann und seine Enkeltochter waren bereits wieder in ihrer Wohnung, als ich daran vorbeikam. Ich bog rechts ab. Dort wurde die Straße breiter und ich hoffte, eine Hauptstraße zu finden, um vielleicht jemanden fragen zu können, wo ich mich befand. Ich kam an eine Kreuzung von Gassen. Falsch gedacht! Das war ja klar, jetzt verlief ich mich auch schon. Nun stand ich allein und verloren vor drei verschiedenen Gassen, die alle gleich aussahen und keine davon auch nur einen Ansatz von Sympathie offenbarten. Doch irgendetwas roch ich. Es roch anders als das, was meine Geruchsnerven bisher zu schnuppern hatten. Es roch gut und lecker! Es kam aus der zweiten Gasse. Also folgte ich ihr, immer dem Geruch nach. Er wurde stärker und was ich dann sah, ließ mich zusammenfahren und auf der Stelle festfrieren. Ich hielt den Atem an und augenblicklich verlosch der Geruch. Ich brauchte nicht zu atmen. Ich sah auf die tote Frau, die vor mir in der Gasse lag. Sie hatte eine große Wunde an ihrer Kehle und das Blut floß in eine übergroße Lache. Das sollte ich gerochen haben? Das sollte ich als lecker empfunden haben? Ich war geschockt. Ich bückte mich zu ihr rüber und schreckte direkt wieder zurück. Etwas hatte sie gebissen. Jetzt ergriff mich die Angst und ich rannte. Egal wohin, nur rennen. Meine Füße schienen unter mir zu fliegen, so schnell war ich.
Augenblicklich blieb ich stehen. Ich schaute rechts von mir in ein Fenster. Es war groß genug, um mich ganz darin erkennen zu können. Ich starrte mein Spiegelbild an. Mein Haar war zerzaust und goldblond. Ich strich es glatt. Ich trug Jeans, eine violette Tunika und schwarze Pömps. Ich trat näher, um mein Gesicht besser betrachten zu können.
Ich wollte zurückschrecken, meinen Kopf schütteln und hoffen, dass ich dadurch wieder den Weg zur Realität finden würde. Doch ich war wie aus Stein, eine Statue, die sich bewegen und zeigen wollte, dass sie lebt, und einsehen musste, dass dem nicht so war.
Mein Gesicht war wunderschön. Die Haut so rein, als sei sie aus hautfarbenem Porzellan. Kein einziger Makel. Meine Augen waren sehr dunkel, aber man konnte das tiefdunkle Grün gut erkennen. Meine Wimpern waren lang geschwungen und tief schwarz. Ich hatte eine leichte Stubsnase und kirschrote Lippen. Meine Zähne waren schneeweiß und perfekt in Reihe und Ordnung. Ich war immernoch erschrocken, aber ich war so fasziniert von mir selbst, dass es mir schwer fiel, meinen Blick von meinem Spiegelbild zu lösen.
Wieder halbwegs bewegungsfähig bemerkte ich, dass es langsam dunkel wurde. Geld hatte ich keines, also würde ich gar nicht erst an ein Hotel oder etwas Ähnliches denken können. Auf der Straße war es unbequem und unsicher. Also beschloss ich, mir ein verlassens Wrack von einem Haus zu suchen und dort die Nacht zu verbringen.
Ich war gerade erst ein paar Meter gegangen, als ich auch schon wieder stehen blieb. Eine Gruppe von Jungs machte Randale. Sie johlten und lachten. Einer der Jungs mit kurzgeschorenen dunkelbraunen Haaren und einem kräftigen Körperbau riss einem eher mikrigen Jungen etwas aus der Hand und schleuderte es blindlings hinter sich auf den Boden. Die anderen beschimpften ihn und der Kräftige schaute triumphierend auf den Jungen hinab. Gleich würden sie  etwas Schlimmeres anstellen, das wusste ich sofort. Also ... eingreifen oder nicht?
Ich ging direkt auf die Kerle zu. Als einer der Mitläufer mich entdeckte, rief er aus: "Hey Süße, leistest du uns Gesellschaft?"
"Nicht im Geringsten. Lasst ihn in Ruhe!"
"Aber aber. Sei doch nicht so! Wir haben hier nur ein Bisschen Spaß. Komm doch noch was näher. Willst du mitspielen?"
Der Kräftige kam näher und ich merkte, wie die Wut in mir hochstieg.
"Fass mich nicht an!"
Er umging das und fragte: "Was machst du eigentlich hier in der Gegend so ganz alleine?"
"Das geht dich nichts an!"
"Och, ich bin sicher, dass wir gut klarkommen können." Er zwinkerte mir zu.
Ich sagte nichts, schaute diese widerlichen Kerle nur mit leerem Blick an. Nur darauf bedacht, nicht in Wut auszubrechen und auf sie einzuschlagen. Wie lächerlich, wahrscheinlich würde ich mir allein bei einem  Schlag meine Hand brechen und dann von ihnen überwältigt werden.
Ich sah aus dem Augenwinkel den gepeinigten Jungen, der anscheinend ernsthaft überlegte, ob er abhauen sollte. Ja super, will man jemandem helfen und der Kerl denkt nur an sich  selbst.
"Was ist?", fragte der Kräftige wieder, "Willst du nun Spaß haben oder müssen wir dich dazu zwingen?" Der drohende Unterton entging mir nicht.
"Ich schlage vor, ihr lasst den Jungen und mich gehen. Ansonsten werde ich ungemütlich!"
Ich wunderte mich über meine feste, autoritäre Stimme und merkte auch, wie sie wirkte. Doch die Jungs fassten sich schnell wieder. Sie glaubten wohl nicht daran, dass ich ihnen weh tun könnte.
"Gut, du hast es so gewollt.", sagte einer, der bisher im Hintergund geblieben war. Er trat vor und packte nach meinem Arm. Im Handumdrehen, ohne darüber nachgedacht zu haben, drehte ich seinen Arm mit Leichtigkeit auf die Seite und zu ihm hin, sodass man  nach einem lauten Knacken direkt wusste, dass der Arm gebrochen war. Das ging so schnell, als hätte ich diese Bewegung jahrelang eingeübt. Der Junge schrie auf, ließ sich auf den Boden fallen und hielt sich seinen kaputten Arm. Der Rest starrte mich nur an und ich reckte mein Kinn herausfordernd vor.
"Wie zum Teufel hast du das hinbekommen?", jaulte der Verwundete.
Ich lächelte selbstgefällig, ohne auf ihn runter zu schauen. Ich taxierte die Gruppe. Einer kam näher: "Das ist ja verrückt!" Doch ich sah, wie er mehr darauf achtete, mir nicht die Möglichkeit zu geben, bei ihm dasselbe zu tun wie mit seinem Kumpel.
Als er mir zu nahe kam, schlug ich ihm mit meinem Arm seitlich in den Hals. Er fiel direkt hin und konnte nur einen erstickten Schrei herausbringen. Jetzt sah man allen die Angst an. Auch der Gepeinigte schaute mich aus Schreckensaugen an. Die Gruppe brauchte nicht lange um  zu reagieren und sie liefen davon. Sie ließen ihre beiden Kumpels auf dem Boden zurück und auch der Gepeinigte interessierte sie nicht mehr.
Die Verletzten riefen ihnen nach: "Hey lasst uns nicht hier zurück! Das könnt ihr doch nicht machen!" Keiner beachtete sie. Einer weinte sogar. Was für eine Memme, dachte ich mir.
Ich schaute zu dem Jungen, dem ich soeben das Leben gerettet hatte. Der Schrecken  stand ihm mitten ins Gesicht geschrieben. Mein Blick blieb hart und er stotterte: "Da-a-anke!"
Ich ignorierte es und rannte wieder zurück in die  Richtung, aus der ich  gekommen war. Als ich weit genug entfernt war bis ich sie nicht mehr sehen oder hören konnte, blieb ich stehen um einmal tief durchzuatmen. Was war da gerade geschehen? Was habe ich da getan? Wer bin ich? Und vor allem WAS bin ich?
Ich suchte mir in einer schmalen Gasse ein kleines Häuschen, das unbewohnt war. Es war ziehmlich zerfallen, aber auf dem Stroh ließ es sich liegen. Ich konnte diese Nacht nicht einschlafen. Ich war einfach nicht müde. Stattdessen blendete ich alle Gedanken aus und ruhte so bis zum ersten Sonnenstrahl des nächsten Morgens.





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