neomii

Kapitel 2



Cedric


Ein Gefühl der Vertrautheit
zeichnete mein Herz,
und wegen meiner Eitelkeit,
hoffte ich, es sei nur ein Scherz.


Der nächste Tag war super. Die Sonne trug stark auf und die Wärme kitzelte auf meiner Haut. Ich richtete mich auf, ging zum Fenster und beobachtete eine Zeit lang den Himmel. Dann strich ich meine Haare glatt, die Strohhalme, die an mir hängen geblieben waren auf den Boden und ging hinaus um  meine Suche fortzusetzen.
Ich merkte, wie man mir hinterherschaute und mir bewundernde Blicke zuwarf. Ich ließ meine Haare  nach hinten fallen  und setzte noch ein bisschen Hüftschwung hinzu. Das gefiel mir. Ich kam an einem Schild vorbei, das auf den Ort hinwies. Darauf stand groß: Wiesbaden. Aha. Das war ja schonmal ein Anfang.
Ich schlenderte die anliegenden Straßen entlang. Es war noch relativ früh und es war nicht viel Volk unterwegs. Mir gefiel dieses Gefühl von Freiheit. Keiner kannte mich, ich konnte machen was ich wollte und kommen und gehen wann immer ich es wollte. Trotzdem war es gleichzeitig so deprimierend überhaupt keinen Anhaltspunkt zu haben. Es fiel mir schwer nicht dauernd an meiner Vergangenheit herum zu grübeln und es ärgerte mich auch. Wer weiß, wie es wäre, wenn ich meine Vergangenheit kennen würde. Vielleicht konnte ich richtig glücklich darüber sein, sie nicht zu kennen.
Es schienen Stunden zu sein, in denen ich nur durch die verschiedenen Straßen spazierte und mir die Umgebung anschaute. Währenddessen grübelte ich ununterbrochen weiter und versuchte mir sogar mein früheres Leben auszumalen, wie in einer Fantasievorstellung. Ich fing mit meiner Kleidung an. Wenn sie dank der gegenwärtigen Umstände nicht so schmutzig und abgetragen gewesen wäre, wäre sie durchaus schick gewesen. Da ich aber nicht daran glaubte, dass man alltäglich mit High Heels und teurer Tunika herumlief, konnte ich mir gut vorstellen, dass ich vor meinem Gedächtnisbruch auf einer Party unter Freunden eingeladen war oder später zu einem besonderen Anlass erschienen wäre.
Ich fragte mich, ob mich jemand vermisste und was mit meinen Eltern war. Ob sie noch lebten? Wie waren sie wohl? Wie sahen sie aus? Wenn ich ihnen begegnen würde, würde ich sie dann erkennen? Wie würden sie reagieren?
Ich wollte nicht zu intensiv darüber nachdenken. Wer weiß, was als nächstes passieren würde. Vielleicht würde ich dann wirklich abdrehen.
An einem Haus hing ein Straßenschild mit der Aufschrift: Borkumerstr. Etwas zog mich dort hin und ohne vorher zu überlegen, ob es eine gute Idee sei oder nicht, bog ich dort ein und begutachtete meine Umgebung. Die Häuser und Wohnungen hier waren äußerlich etwas netter als auf den Hauptstraßen. Nicht alle, aber die meisten. Manche hatten Blumenkästen vor den Fenstern, manche Spitzenvorhänge und andere hatten sogar eine eigene Farbe, die einfach nicht ins Bild passte. Aber dennoch gefiel es mir hier. Ich ging an den verschiedenen Bauten vorbei und bog  schließlich um eine Kurve, als ich direkt mit einem Jungen zusammenprallte.
Er war groß, vielleicht 1,85m. Er war schlank, trotzdem sah man  deutlich seine Muskeln und ich konnte mir ein kämpferisches Können gut vorstellen. Er hatte kurz geschorene mittelbraune Haare, denen man einen früheren Irokesenschnitt ansehen konnte und dunkle Augen. Er war sonnengebrandt und sah wirklich gut aus. Das musste man ihm lassen.
Er rieb sich die Brust, dort, wo mein Kopf eben eingeschlagen war. Mir ging es jedenfalls ausgezeichnet. Im Normalfall hätte ich ihn nachsichtig angefunkelt und wäre an ihm vorbei gerauscht. Aber aus irgendeinem Grund war ich gefesselt, außerdem hatte ich Zeit und keine Angst, da ich mir letzten Abend wirklich genug bewiesen hatte. Es war ein seltsames Gefühl, das mich einhüllte. Es war vertraut und ebenfalls ein Gefühl von Heimat. Als hätte er gesagt: "Willkommen zu Hause!" Ich starrte ihn nur idiotisch an und er starrte zurück.
Dann grinste er und fragte: "Kennen wir uns nicht irgendwoher?"
"Nicht, dass ich wüsste.", gab ich zurück und biss mir auf die Unterlippe, als ich merkte, dass meine Stimme verträumt geklungen hatte. So etwas Blödes! Ich treffe einen Kerl und er bekommt direkt den  Eindruck, ich hätte mich verknallt. Sowas fehlte mir noch.
Ich blickte einmal zu Boden, um mich von seinem Blick zu lösen, dann ging ich an ihm vorbei und weiter der Straße nach. Er lief mir förmlich hinterher und hatte leichte Probleme mitzuhalten. "Hey, warte doch  mal! Ich bin sicher, ich  kenne dich! Irgendwo habe ich dich garantiert schonmal gesehen!"
"Kann nicht sein."
"Warum denn?"
"Ich falle nicht auf deine Anbaggereien herein. Ich kenne dich nicht und damit ist hier unser Gespräch beendet!" Ich war vielleicht etwas zu grob. Er hatte mir schließlich nichts getan.
Aber er gab nicht locker: "Dann können wir uns doch kennenlernen."
"Nein."
"Warum?"
"Weil ich keine Zeit für solche Dinge habe! Lass mich gefälligst in Frieden!"
Er seufzte, "Wie du willst." und kehrte um.
Als er verschwunden war, blieb ich stehen und versuchte das Erlebte zu verdauen. Ich blieb so eine Weile und dachte darüber nach. Ich kam zu dem Schluss, dass es eine sehr merkwürdige Begegnung war und folgte wieder der Straße, da ich einfach keine Lust mehr hatte, über alles nachdenken zu müssen. Vielleicht würde das helfen.
Ich glaubte nicht mehr wirklich daran, etwas zu finden und fing nun an ziellos in der Gegend umher zu schweifen. Bei einer Bank hielt ich kurz inne und setzte mich dann darauf.
Es war schon später Nachmittag und ich schloss meine Augen. Nach einer Zeit, vielleicht waren nur Minuten vergangen, vielleicht auch Stunden, vernahm ich ein leises Kichern. Es kam schräg von der anderen Straßenseite. Zwei Mädchen  dachten wohl, ich seie eingeschlafen. Sie kamen vom Shopping, denn sie trugen eine ganze Menge bunter Tüten mit sich. Als sie merkten, dass ich sie jetzt meinerseits  betrachtete, schauten sie schnell weg und liefen eilig weiter. Menschen!, dachte ich mürrisch und erschrak fast vor mir selbst. Was dachte ich da gerade? Ich bin doch selbst ein Mensch! So ein Unsinn!
Ich beschloss mir etwas für die Nacht zu suchen und stand auf. Während ich über den Bürgersteig trottete, schaute ich auf den Boden und kickte abwechselnd Steinchen und kleine Äste weg. Dann blieb ich stehen, als vor mir ein ganzes Monstrum von einem Ast aufragte. Na toll! Jetzt sind einem nicht nur Gehirnerschütterungen im Weg, die es einem verweigern, sich an etwas zu erinnern, jetzt sind sogar noch Riesenäste im Weg, die den Bürgersteig versperren! Langsam gingen mir die Nerven aus und ich merkte, dass ich leicht wütend wurde. Ich wollte, dass der Ast mir Platz machte. Was für ein Quatsch, als ob der Ast sich von eigener Kraft bewegen könnte. Und in diesem Moment rutschte der Ast einen Zentimeter nach rechts. Es war kaum zu sehen, für normale Menschen vielleicht, doch mir entging das nicht. Zuerst schüttelte ich wieder meinen Kopf, doch  ich hatte mich nicht geirrt. Der Ast hatte sich bewegt und mir schoss mein Gedanke wieder in den Kopf. Als ich wieder daran dachte, er solle endlich vom Bürgersteig verschwinden, schoss er urplötzlich weg und es gab ein lautes Scheppern. Der Ast hatte sich meiner Aufmerksamkeit so sehr beraubt, dass ich um mich herum kaum noch  etwas wahrgenommen hatte und stellte nun fest, dass der Ast direkt in einen Wagen geprescht war. Ich schnappte nach Luft, obwohl ich sowieso nicht atmen brauchte, aus Gewohnheit eben. Der Wagen war wirklich hinüber. Dem Fahrer war nichts passiert und als ihm das bewusst wurde, fing er an, wie von der Tarantel gestochen, mich anzuschnauzen: "Was hast du mit meinem Wagen gemacht?? Du hast ihn geschrottet! Sieh dir das an, du hast einen riesigen Ast auf meinen Wagen geschleudert .." Er hielt inne, als er merkte, wie verrückt das klang. Ich, ein so zärtliches Mädchen, das wahrscheinlich nicht einmal eine Hantel heben konnte, sollte einen monströsen Ast gehoben und damit seinen Wagen geschrottet haben? Aber er war sich doch so sicher.
Ich stand einfach nur wie angewurzelt da und hörte von Weitem schon die Sirenen der nächtlichen Polizei, die direkt alarmiert worden waren.
Als sie ankam, machte ich keinerlei Anstalten und stieg in den Wagen. Am Revier wurde ich natürlich direkt verhört. "Was ist da passiert? Warst du daran beteiligt? Wie ist das passiert? ..." Ich hörte irgendwann nicht mehr richtig hin und als Antwort darauf wurde ich in eine Zelle gesteckt. Wenigstens war damit mein Lager für die Nacht gerettet. Ich setzte mich auf das Bett, zog meine Beine an und verschwand wieder hinter meinen Gedanken. Was war geschehen? Ich war so verwirrt und wollte einfach nur noch schlafen, um nicht denken zu müssen. Alles war mir recht. Nur nicht denken. Und genau wie am Vorabend konnte nicht nicht einschlafen. Es war unmöglich, so sehr ich es auch versuchte.
Doch dann wurde ich aus meinem Ärger gerissen und hörte, wie jemand die Zelle aufschloss.
"Du kannst gehen. Jemand hat deine Kaution bezahlt."
"Was?"
"Willst du nun raus oder nicht?"
"Mhmm."
Ich folgte ihm nach draußen und wem blickte ich da ins Gesicht? Dem Typen von heute Mittag. Wäre ich nicht so überrascht gewesen, hätte ich mir geschworen, dass seine Brust geschwollen war. Upps.
"Hey!"
"Hey! Was sollte das?"
"Was sollte was? Ich habe dich hier rausgeholt. Sei mir doch einfach dankbar."
"Danke." Ich bewegte mich nicht vom Fleck und machte auch keine Anstalten in seinen Wagen zu steigen.
"Was ist los?"
"Jetzt kann ich mir einen neuen Schlafplatz suchen."
Er lachte:"Wusste ich doch, dass du hier neu bist. Du kannst bei mir schlafen."
"Was, wenn ich  das nicht möchte?"
"Na komm schon, ich werde dir nichts tun." Er lachte wieder.
Ich seufzte und gab schließlich nach. Ich stieg zu ihm auf die Beifahrerseite. Was solls.
"Na geht doch", sagte er zufrieden und fuhr los.
Auf dem Weg zu seiner Wohnung wurde mir bewusst, dass ich seinen Namen noch nicht kannte.
"Sag mal, wie heißt du eigentlich?", fragte ich. Ich musterte ihn, realisierte jede einzelne seiner Bewegungen. Vom leichten Zucken seiner Mundwinkel bis zu seinen Händen, die das Lenkrad betätigten. Er hatte schöne Hände. Sie sahen gepfegt aus, vielleicht mit einer speziellen Handcreme?
Schließlich antwortete er: "Ich heiße Cedric."





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